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"Und ich werde euch Ruhe geben."

Mit wenigen Ausnahmen beginne ich meine Zeit in der Praxis am Morgen mit einem Moment des Anhaltens, der Stille und des Gebetes. Die Worte aus Psalm 51,17 und aus Psalm 70,1 stehen dabei immer am Anfang:

Herr, öffne mir die Lippen,
dass mein Mund deinen Ruhm verkünde.
Gott, komm herbei mich zu retten,
eile Herr, mir zu helfen.

Mit dieser Bitte werden seit mehr als anderthalb Jahrtausenden die Chorgebete in christlichen Kommuni­täten eröffnet. Diese Worte sind auch Element des äusseren Rahmens, welcher meiner Zeit der Besinnung Vertrautheit verleiht. Die Bitte drückt Vertrauen aus und ich erfahre darin, einmal stark, ein andermal nur leise, dass Hilfe kommt.
Das therapeutische Arbeiten mit Menschen bedeutet, mich mit ihnen auf ein Stück Weg zu begeben. Veränderung, Wandlung, Heilwerden heisst, Schritte auf einem Weg durch die Wüste zu tun. In der Regel ist dieser Weg länger und schmerzlicher als wir uns dies vorstellen und wünschen. Da möchte ich – in meinem persönlichen Lebensumfeld und im Arbeiten mit den mir anvertrauten Menschen – innerlich vorbereitet sein. Im Anhalten erhalte ich die nötige Ruhe und Gelassenheit, welche in diesem Arbeiten nötig ist und wo ein drängendes Streben nach schnell Sichtbarem dem Gegenüber unwürdig wäre.

Die Worte in diesem Freundesbrief welche in Grossschrift gedruckt sind, sollen als Anregungen zur Meditation dienen, zum Anhalten, zum auf sich wirken lassen. Die Worte sollen ermutigen, uns selber auf den Weg durch die Wüste zu begeben. Es liegt nicht in der Natur unseres Menschseins, dass wir dies tun. Oftmals werden wir erst dazu gezwungen, wenn unser Körper oder unsere Psyche dies signalisiert durch Symptome von Überforderung, Aggressivität, im Essverhalten, durch Depression, Ängste usf. oder wenn andere uns nahestehende Menschen unsere vermeintliche Ruhe und Sicherheit stören.

Darum: Siehe, ich werde sie locken und
sie in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden.

Dann gebe ich ihr von dort aus ihre Weinberge
und das Tal Achor als Tor der Hoffnung.
[i]

Worte des Propheten Hosea, welche er Israel, Gottes anvertrauter Braut und auch uns allen zuspricht. Im Vertrauen auf Gott den Weg in die Wüste, durch die Wüste gehen und auf dem Weg Gott wandelnd wirken lassen in Richtung Ruhe, Hoffnung, Leben.

Glücklich ist der Mensch, dessen Stärke in dir ist.
Sie gehen durch das Tränental
und machen es zu einem Quellort.
Ja, mit Segnungen bedeckt es der Frühregen.

HERR, Gott der Heerscharen, höre mein Gebet!
Vernimm es, o Gott Jakobs!
[ii]

Hier erkling wieder der Ruf um Hilfe: Gott, Herr, stehe du mir auf diesem Weg durch die Wüste bei. Und es kommt die demütige Haltung zum Ausdruck: ich muss auf dem Weg durch die Wüste zwar selber Schritt um Schritt tun (dazu gehört auch die Arbeit in den Therapiestunden), ich kann jedoch nicht selber erwirken, ja, selten im Moment drin nicht mal erahnen, dass Wandlung und Heilwerden wird, dass sich angesichts aller Probleme Ruhe einstellen wird.
Wandlung vollzieht sich unmerklich und still, ein Prozess, dem jedes Leben unter­wor­fen ist. Das Leben kann man nicht zwingen, man kann ihm nur dienend zu seiner Entfaltung helfen. Das Jesusgebet hilft, diese Haltung einzuüben, zu innern:

Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.

Warum den Weg durch die Wüste gehen? Auf dem Wüstenweg begegnen wir uns selbst, so wie wir sind. Der Trauer in uns, dem Schmerz, der Freude, dem Lärm der Gedanken, den Wünsche und Begierden, dem Hass und den Aggressionen, den Leidenschaften, dem Schwachen, dem Peinlichen, dem Starken, dem Minderwertigen. An zu viele Ablenkungen haben wir uns gewöhnt, so dass wir nicht mehr bei uns selber sind. Ablenkungen in Form von vertrautem Selbstschutz, durch Beschäftigung und Sorgen des Alltages, Ablenkung mitunter auch durch geistliche Aktivitäten. Wir sind beständig auf der Flucht vor uns selbst, haben verlernt, uns selbst auszuhalten.

Jemand sagte zum Altvater Arsenios[iii]: „Meine Gedanken quälen mich, indem sie mir sagen: Du kannst nicht fasten und auch nicht arbeiten. So besuche wenigstens die Kranken; denn auch das ist Liebe.“ Der Greis aber, der den Samen der Dämonen kannte, sagte zu ihm: „Geh und iss, trinke, schlafe und arbeite nicht, nur verlass dein Kellion[iv] nicht!“ Er wusste nämlich, dass das Ausharren im Kellion den Mönch in seine rechte Ordnung bringt.[v]

Ein Ziel auf dem Wüstenweg ist die schonungslose Begegnung mit sich selbst, der Weg der Begegnung, der Versöhnung mit all dem was in uns und an uns ist. Jesus Christus ermutigt zu einem guten Umgang mit sich selbst. Möchten wir, dass wir mit anderen und andere mit uns gut umgehen, so müssen wir zuerst bei uns selbst mit Üben anfangen: sanftmütig und gnädig mit uns selbst umgehen, Frieden schliessen mit dem Unversöhnten. Auf dem Weg der Versöhnung wirkt Gott wandelnd an uns.

Jesus Christus spricht: Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen!
Und ich werde euch Ruhe geben.
[vi]

Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.[vii]

Wandlung und Veränderung ist immer ein Geheimnis das wir bestaunen dürfen. Bei allem Bemühen und aller Disziplin können wir Wandlung nicht aus uns selber bewirken. Auf dem Wüstenweg kommen wir in Berührung mit unserer Begrenztheit und unserer Vergänglichkeit, letztlich mit dem Tod. Die Wandlung im Tod ist wohl das stärkste Abbild dessen, dass wir uns zwar auf den Weg der Versöhnung begeben, aber letztlich dort nichts dazutun können, was nur durch Wandlung werden kann.

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[i] Hosea 2,16f

[ii] Psalm 84,6.7.9

[iii] Abbas Arsenios (354-445), Diakon und Erzieher, lebte seit 395 als Einsiedler in der Wüste.

[iv] Kellion: Mönchszelle, Kämmerlein, Ort des Rückzuges ohne jegliche äussere Ablenkung, oftmals auch ohne biblische Texte.

[v] In der Zeit zwischen 250 und 500 nach Christus lebten in den Wüsten von Syrien und Ägypten Einsiedler.
In einer Zeit, die von frommer Oberflächlichkeit geprägt war, besannen sich diese Mönche darauf, dass eine gesunde Gottesbegegnung nur möglich ist, wenn damit eine ehrliche Selbstbegegnung verbunden ist.
Die Aussprüche der Mönchsschriftsteller wurden in der Apophthegmata Patrum (Weisung der Väter) gesammelt. Die Weisungen der Mönchsväter zeigen grosse Vertrautheit mit der Heiligen Schrift, verbunden mit tiefer Kenntnis des menschlichen Herzens und des irdischen Lebens.

[vi] Matthäus 11,28

[vii] Hebräer 4,16

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